Was bedeutet Gerechtigkeit für Tiere? Was hat es mit Tierrechten auf sich? Welche Rechte haben Tiere in unserer Gesellschaft derzeit? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die AG Tierethik.
In seinem Buch zur Tierethik, Animal Liberation (1975), schreibt der australische Philosoph und Ethiker Peter Singer in der Einführung:
"This book is about the tyranny of human over non-human animals. This tyranny has caused and today is still causing an amount of pain and suffering that can only be compared with that which resulted from centuries of tyranny by white humans over black humans."
Warum wählte er so drastische Worte?
Friedrich Mülln ist eine Person, die mit seinem Verein SOKO Tierschutz (nominiert für den taz Panter Preis 2018, 2018, Video 3 min) seit über 20 Jahren regelmäßig die tatsächlichen Bedingungen aufdeckt, die viele Tiere in deutschen Ställen erleiden müssen (Interview in SWR1 Leute, 2020, 30 min, https://www.friedrich-muelln.info). Das ans Tageslicht gebrachte Leid weicht sehr stark von den Marketingdarstellungen der Hersteller von Tierprodukten ab. In seinem Portrait stellt er fest:
- "In Deutschland sind Tiere praktisch rechtlos. Sie haben lediglich das Recht zu leiden und zu sterben, das war's. Denn das deutsche Tierschutzgesetz ist biegsam, voller Lücken, widersprüchlich und wird selbst bei klaren Rechtsbrüchen nicht angewendet."
Woran liegt das? Haben wir nicht eines der besten Tierschutzgesetze weltweit?
Mit Blick auf die Realität der sogenannten Nutztiere scheint es offensichtlich, dass diese Zustände unhaltbar sind. Gibt es Rechte, die die Tiere unbedingt haben sollten, um deren Situation zu verbessern?
Bernd Ladwig analysiert die Lage aus Sicht der politischen Philosophie und kommt zu dem Schluss, dass unsere gesellschaftlichen Grundwerte logisch fortgesetzt dazu führen, dass wir nicht-menschlichen Tieren mehr Rechten zubilligen müssen als bisher. Neben diesem Ergebnis ist dabei der Weg der Herleitung interessant.
Eine ebenso praktische wie kontroverse Frage, die sich dabei stellt: Dürfen wir Tiere essen? Eine ausführliche Diskussion dazu liefert Friederike Schmitz.
Veganismus ist in diesem Zusammenhang keine bloße Ernährungsform ohne Tierprodukte. Die vegane Lebensweise ist ein Weg, die innere Haltung, dass Tiere schützenswerte Lebewesen mit eigenen Bedürfnissen und Interessen sind, die mit den unsrigen abgewogen werden müssen, in praktische Handlung zu übersetzen. Das beginnt mit dem einfachen Unterlassen bestimmter Kaufentscheidungen. Um zu verstehen, welche Zusammenhänge zwischen Veganismus und Tierrechten besteht, gibt es verschiedene Zugänge:
Einen wichtigen Baustein für mehr Gerechtigkeit für Tiere deutet Mülln an:
- "An den unhaltbaren Zuständen in den Tierhaltungen wird sich nur etwas ändern, wenn sich durch Aufklärung und Bildung die Einstellung der Bevölkerung zu unseren Mitbewohnern auf diesem Planeten ändert."
Ladwig: Politische Philosophie der Tierrechte
Video: Gerechtigkeit für Tiere | Sternstunde Philosophie | SRF Kultur, 2020, 60 min, Philosoph Bernd Ladwig im Gespräch mit SRF-Moderatorin Barbara Bleisch
"Die gesellschaftliche Einstellung zu Tieren schwankt zwischen inniger Liebe und Ausbeutung. Manche haben einen Namen und werden als Haustiere verwöhnt, andere haben eine Nummer und werden unter leidvollen Bedingungen gehalten, um dann nach einigen Wochen oder Monaten getötet zu werden. Diese Ausbeutung der Tiere ist tief in der menschlichen Lebenspraxis und Kultur verankert. Der Philosoph Bernd Ladwig fordert deshalb eine politische Wende in der Debatte."
Aus dem Inhalt:
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- ca. 18:45: Haustiere, die Physiotherapie bekommen; teure Laserbehandlung. Was ist davon zu halten? Dekadenz? -> Verwandte Frage: in einer Welt, wo nicht alle grundlegende Bedarfe gedeckt sind... darf es da Luxus geben? (Beispiel Opern, Unterhaltungsproduktionen fürs Fernsehen vs. Leid in anderen Ländern). / ... / Mittel zur Ablenkung der Beschäftigung mit Tierrechten / unbewusste Grundannahme: alles was mit Tieren zu tun hat, sei automatisch Luxus
- 25:00: Tiere halten oder Abolitionismus? ...
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- 32:45: Tierquälerei wird abgelehnt, aber "wenn das Tier ein gutes Leben hatte", dann... / Weideschuss ok? -> 1. Absoluter Ausnahmefall / 2. am wenigsten grausame Art ein Tier zu töten / 3. Aber ist es "die Bestimmung des Grasers, diesen Tod zu erleiden"? -> das heißt: "dieses Wesen ist nicht als Wesen eigenen Rechts auf der Welt", sondern wegen dem, was wir von ihm haben wollen. Das werde dem Tier nicht gerecht. / Diese Haltungsform ist beim heutigen Konsumlevel nicht verallgemeinerbar. / Selbst bei dieser Ausnahme: "Warum eigentlich nennt man es einen würdevollen Tod, wenn man ein Tier (das gerne weiterleben würde), umbringt, obwohl man überhaupt keine existenzielle Notwendigkeit dafür hat?" (klar: es besteht eine ökonomische Notwendigkeit, weil man sich auf die Haltung dieser "Fleischtiere" eingestellt hat; es geht nicht darum den einzelnen Halter zu verurteilen, sondern um die aktuellen systemischen Rahmenbedingungen zu hinterfragen)
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Vortrag: Tierrechte politisch, aber nicht vermenschlichend, 2015, 60 min, Bernd Ladwig
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- 15 min: Moralischer Anspruch muss sein: verallgemeinern, aber Freiheit von Willkür
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- 17:45 min: z. B. Interesse an körperlicher Unversehrtheit; nicht getötet zu werden
- 18:15 min: Was sind Interessen?
- 19:00 min: bestimmte Interessen sind so grundlegend, dass wir sie menschenrechtlich schützen wollen
- wenn man nicht willkürliche Unterscheidungen treffen will: welche Interessen müssen wir anderen Tieren zubilligen?
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- Quelle: https://ag-tierethik.de/, Interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft Tierethik (IAT) Heidelberg
Über die politische Bedeutung von Tieren
https://narabo.de/review-was-sich-am-fleisch-entscheidet-thilo-hagendorff-buechner-2021
Der "Beitrag widmet sich einer Besprechung von Thilo Hagendorffs Buch mit dem Titel ›Was sich am Fleisch entscheidet. Über die politische Bedeutung von Tieren‹ erschienen im Büchner-Verlag im März 2021." ...todo...
Haben Tiere Rechte? (Schriftenreihe bpb)
Dieser Frage geht die Schriftenreihe nach, die bei der Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlicht wurde: "Haben Tiere Rechte? - Aspekte und Dimensionen der Mensch-Tier-Beziehung" (https://m.bpb.de/system/files/dokument_pdf/SR_10450_Haben_Tiere_Rechte_ba.pdf, Bonn 2019)
- "Da der philosophische und darauf auf bauende juristische Begriff der »Person« eine menschliche Erfindung ist, könnte ohne Weiteres auch eine »tierliche Person« konzipiert und als dritte Personenart neben die beiden existierenden gestellt werden." (Anne Peters, Die Rechtsstellung von Tieren - Status quo und Weiterentwicklung, S. 128)
- Wie kann eine juristische Befreiung vormals rechtloser Wesen erreicht werden?
Peters: Globales Tierrecht - Forschungsbericht 2016
Globales Tierrecht, Forschungsbericht 2016 - Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht: https://www.mpg.de/10892322, Peters, A.; Stucki, S.
"„Globales Tierrecht“ ist ein neues Rechts- und Forschungsgebiet. Die Tierrechtswissenschaft reagiert auf das sich wandelnde Verhältnis von Mensch und Tier, analysiert und kritisiert tierbezogenes Recht mit klassischen rechtswissenschaftlichen und interdisziplinären Methoden und setzt Impulse für zukünftige Entwicklungen. Tierrecht beschäftigt sich mit grenzüberschreitenden Problemlagen, darum sind globale Lösungsansätze gefordert. Die Forschungsagenda zielt auf die Schaffung konzeptioneller Grundlagen und auf die praktische Erschließung und Entwicklung des globalen Tierrechts ab."
Über das Institut: https://www.mpil.de, Heidelberg
Video zur Forschung: Anne Peters - Why Do We Need a Global Animal Law? - https://lt.org/publication/why-do-we-need-global-animal-law (engl.)
Das Konzept Tierwohl: zwischen Tierschutz und Tierrechten
"Tierwohl als globales Gut: Regulierungsbedarf und -chancen"
Anne Peters, RW Rechtswissenschaft, 2016, https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/1868-8098-2016-3-363/tierwohl-als-globales-gut-regulierungsbedarf-und-chancen-volume-7-2016-issue-3
- S. 3: "Zunächst möchte ich den Grundbegriff des Tierwohls, animal welfare, auch in Abgrenzung zu Tierrechten, erläutern. Im Unterscheid zum üblichen Rechtsbegriff des Tierschutzes, den wir aus vielen nationalen Rechtsordnungen kennen − etwa von den amtlichen Titels des deutschen oder schweizerischen Tierschutzgesetzes − nimmt das Tierwohl den Ausgangspunkt beim Tier selbst. Tierschutz ist das, was Menschen mit Tieren machen, wohingegen Tierwohl das ist, was Tiere brauchen. Man könnte somit sagen, dass der Begriff des Tierwohls eine Mittelstellung einnimmt zwischen dem total anthropozentrischen und bereits positivrechtlich fundierten traditionellen Begriff des Tierschutzes und der noch utopischen Forderung nach Tierrechten. Er eignet sich deshalb als Grundbegriff für eine Reformstrategie."
- Zu "animal turn" Verweis auf: "The emergence of multispecies ethnography", 2010, https://dspace.mit.edu/handle/1721.1/61966 (Was ist Ethnographie?)
Schmitz: Tiere essen - dürfen wir das?
Eine differenzierte und vielschichtige Antwort liefert Friederike Schmitz im Buch "Tiere essen - dürfen wir das?" (https://friederikeschmitz.de/tiere-essen-duerfen-wir-das-neues-buch-erschienen/ (2020), https://www.springer.com/de/book/9783476056559).
Weitere Texte:
- todo
Häufige Fragen / Mögliche Missverständnisse
Tierrechte / Veganismus:
- Bedeuten Tierrechte oder Veganismus die Abschaffung jeglicher Tier- und/oder Nutztierhaltung?
- Kurz: nein
- Veganismus sagt zunächst, dass das existenzielle Interesse von Tieren weiterleben zu dürfen mehr wiegt als der Fleischgenuss (unter der Annahme, dass praktische Alternativen zur Verfügung stehen). Die Bewertung und Entscheidung trifft jede Person für sich selber und wirkt sich hauptsächlich auf die Nachfrageseite aus. Wie die Produktionsseite in der Marktwirtschaft darauf reagiert sowie politische Konsequenzen sind separate Themen. - Was ist eigentlich ein Nutztier?
- Siehe z. B. https://de.wikipedia.org/wiki/Nutztier. Nicht dazu zählen insbesondere Regenwürmer oder Wildbienen; siehe auch bio-vegane Landwirtschaft.
- Es gibt verschiedene Nutzungszwecke. Tiere werden genutzt als Lieferanten für Nahrung (Fleisch, Milch, Eier, Honig), Nebenprodukte (Pelze, Wolle, Leder, Fette, Knochen, Elfenbein); als Arbeiter und Helfer (...) und zur Attraktion (Zoo, Zirkus, Stierkämpfe, Hundesport, Reitsport)
- Wildtiere, die wirtschaftlich genutzt werden: Fische aus Wildfang, Tiere aus der Jagd
- Für den Naturschutz und die Landschaftspflege haben bestimmte Nutzungsformen erwünschte Nebeneffekte (z. B. Biodiversität bei bestimmten Formen der Weidehaltung) oder werden speziell dafür eingesetzt (z. B. Schafe auf Deichen zu dessen Pflege und Befestigung). Mit Blick auf Tierrechte ist zu fragen, welche dieser gewünschten Aspekte auch ohne systematisches (frühes) Töten der eingesetzten Tiere zur Fleischgewinnung zu erreichen ist. - Tierbefreiung ("animal liberation") = sofortige Freilassung aus den Ställen?
- Nein. In einer Übergangsphase würde man aufhören, die Tiere massenhaft in die Welt zu setzen, nur um sie zu schlachten (750 Mio. Landtiere für Deutschland pro Jahr). Da die meisten Tiere in der Tierhaltung weniger als ein Jahr leben dürfen, hat sich das Problem innerhalb von ein bis zwei Jahren erledigt.
Ethik:
- Subjektivität von Moral?
Gegegeben folgende Aussage: Die Verantwortung gegenüber den Tieren (z. B. Töten zur Gewinnung von Fleisch obwohl Alternativen bereitstehen) sei eine persönliche Frage; die Grenzziehung zu anderen Lebensformen (z. B. Pflanzen) sei willkürlich (oder sogar anthropozentrisch) und ethisch nicht schlüssig begründbar.
- Kurz: nein
- Es geht bei Tierrechten nicht darum Tiere mehr zu schützen als Pflanzen, sondern Tiere ihren Bedürfnissen angemessen zu behandeln, ohne dass dabei Pflanzen schlechter behandelt werden.
- Als Folge werden mengenmäßig sogar mehr Pflanzen geschützt.
- Wenn es um Ökosysteme geht: Ökosysteme sind nicht zwingend darauf angewiesen, dass Tiere geschlachtet werden.
- Ergänzend aus dem Artikel zu Vegaphobie: "Ethischer Veganismus ist weder Trend, Modeerscheinung, Lebensstil noch Diät (wobei diese Gründe für einzelne Veganer/-innen durchaus relevant sein können), sondern eine seit über einem halben Jahrhundert klar definierte Lebensphilosophie, welche auf einem gewachsenen Korpus philosophischer und ethischer Texte fußt." - Anthropozentristisch? / Ökosysteme / Analogie
- Das Argument, das vorgebracht wird, lautet: Tiere sollen besonders geschützt, weil sie den Menschen ähnlich seien; dies sei aber eine anthropozentristische Bevorteilung der Tiere und lässt Pflanzen und ganze Ökosysteme außer acht.
- Tierrechte: Tiere werden nicht geschützt, weil sie dem Menschen ähnlich sind, sondern weil wir mittlerweile ganz genau wissen, dass deren Interessen und Bedürfnisse sich von unseren nicht wesentlich unterscheiden (und was wir fühlen, wissen wir aus eigener Erfahrung). Dieser Erkenntnis soll angesichts industrieller Instrumentalisierung dieser fühlenden Mitlebewesen Rechnung getragen werden. Dies schließt den Schutz von Pflanzen und Ökosystemen nicht aus; im Gegenteil. Vereinzelte Ökosysteme, die durch Tierhaltung entstanden sind, können erhalten werden, ohne Tiere, die den Großteil ihres Lebens noch vor sich haben, systematisch zu töten.
Finanzierung Naturschutz / Biodiversität:
- "Veganer kaufen kein extensives Weidefleisch und keine extensive Weidemilch und tragen daher nichts zu diesen wichtigen Naturschutz-Projekten bei."
1. Das wenigste Fleisch/Milch stammt aus solchen Projekten
2. Selbst wenn viele Menschen auf die Idee kämen diese Produkte einzukaufen, ist es Stand 2021 schwer, solche Projekte bzw. Ware überhaupt zu finden, da sie sehr selten am Markt vorkommen.
3. Naturschutzprojekte werden oft über Steuermittel finanziert, die durch alle Bürger:innen gestämmt werden.
4. Veganer lehnen nicht den Naturschutz oder die Biodiversität ab (im Gegenteil), nur bestimmte Produkte zu deren Finanzierung. Es liegt also an der Angebotsseite, entsprechende schlachtfreie Produkte oder Dienstleistungen (inkl. direkter Spendenmöglichkeite) zu schaffen, die auch von Veganern (inkl. Flexitarier) zur indirekten Unterstützung konsumiert werden können.
Ressourcennutzung:
- Alles verwerten: in der guten Tierhaltung werde alles vom Tier verwertet.
- Auch in der Massentierhaltung wird alles von Tier bestmöglich verwertet.
- Der größte Anteil der Verschwendung findet zudem beim Konsumenten statt. - Wäre es nicht Verschwendung, wenn man ein vorher genutztes (z. B. Schafe zur Deichbefestigung) Tier nicht zur Fleischgewinnung nutzt?
- Basiert auf der Annahme, dass bestimmte Tiere als Ressourcen zu betrachten sind.
- Dies ist aber nicht erforderlich; siehe z. B. Haustiere, die in ihrem Leben auch eine Menge Ressourcen in Form von Futter aufgenommen haben, ohne dass der Anspruch besteht, diese in Form von Fleisch wiederzugewinnen (zumindest einen kleinen Teil davon, vergleiche Futterverschwendung Nutztierhaltung).
März - November 2021, Titelbild von Tim Reckmann / pixelio.de