Wasser für den Riedwald
Die Wälder im Hessischen Ried haben für den Naturschutz allerhöchste Bedeutung. Unmittelbar am Rhein liegen in Hessens größtem Naturschutzgebiet „Kühkopf-Knoblochsaue“ europaweit einmalige Auwälder. Weiter landeinwärts finden sich auf großer Fläche alte, ökologisch herausragende Eichenwälder. Die Wälder sind ein unersetzlicher Erholungs- und Lebensraum. Etwa die Hälfte der 30.000 Hektar umfassenden Waldfläche wurde als Naturschutzgebiet, EU-Vogelschutzgebiet oder als Schutzgebiet nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie ausgewiesen. Vor allem in den oft weit über 100 Jahre alten und an hohe Grundwasserstände angepassten Eichen- und Buchenwäldern haben große Bestände seltener Tierarten überlebt. Nirgendwo in Hessen findet man so viele Bechsteinfledermäuse, Mittelspechte oder Hirschkäfer wie hier.
Doch dieser einmaligen Vielfalt droht eine tödliche Gefahr! Die Wälder befinden sich seit rund 60 Jahren in einem Überlebenskampf, weil die Grundwasserentnahme zur Versorgung des Rhein-Main-Gebietes mit Trinkwasser den Wurzelraum ausgetrocknet hat.
Grundwasserbewirtschaftung und Waldprobleme
Aus dem einst sumpfigen Hessischen Ried westlich von Darmstadt bis Lampertheim mit ausgedehnten Auwäldern und zur ackerbaulichen Nutzung wenig geeigneten Nasswiesen entstand durch massive Entwässerungsprojekte die heutige Situation.
Die Entwässerung des Riedes erfolgte in vielen Etappen von der Rheinbegradigung unter Tulla (ab 1817), durch den Bau von Hochwasserdeichen im 19. Jahrhundert und die Entwässerung für den verstärkten Acker- und Feldfruchtanbau und der Siedlungserweiterungen.
Zuletzt wurden ab den 1960er Jahren große Wasserwerke eingerichtet, um die südhessischen Großstädte Frankfurt, Darmstadt und Wiesbaden mit Trinkwasser zu versorgen. Der bis dahin bodennahe Grundwasserspiegel im Hessischen Ried fiel in den 1970er Jahren um mehrere Meter ab, insbesondere unter dem Wald bildeten sich tiefe Entnahmetrichter aus, die den oberen Grundwasserleiter in vielen Bereichen weitgehend entleerten.
Heute ist das Ried geprägt:
- durch unangepasste Bauweisen vieler Siedlungsgebiete
- in Nassjahren: nasse Keller (wenn „weiße Wannen” zur baulichen Vorkehrung vor zu hohem Grundwasserstand fehlen und Keller zu tief gegründet wurden) und
- in Trockenzeiten: Setzrisse durch den schwankenden Grundwasserstand.
- durch Grundwasserförderung durch Industrie und Wasserversorgungsunternehmen, insbesondere in Waldgebieten, absterbende, sich auflösende Waldverbände.
Der Wald löst sich auf
Gegen die Probleme sollte der „Grundwasserbewirtschaftungsplan Hessisches Ried” aus den 1990er Jahren helfen. In ihm wurden Mindestgrundwasserflurabstände (zugunsten von Wald und Natur) und Höchststände (für Siedlungsgebiete) festgesetzt. Der BUND und andere Naturschutzverbände wurden bei seiner Aufstellung in einer Arbeitsgruppe des Hessischen Umweltministeriums beteiligt.
Leider entschärfte sich die Problematik nicht, obwohl bei Neugenehmigungen von Wasserrechten die Vorschriften des Planwerkes greifen sollten. Mit Hilfe aufwändiger Infiltrationsanlagen wurden zwar die festgesetzten Grundwasserstände eingehalten, aber vor allem die Waldauflösung schritt fort.
Hinzu kamen Schadensereignisse für den Wald wie die Luftbelastung und deren Auswirkungen und das verstärkte Auftreten des Waldmaikäfers. Dessen Larven (Engerlinge), die zunächst an Graswurzeln, im zweiten und dritten Jahr aber auch an Baumwurzelwerk fressen, ertranken nicht mehr wie früher, wenn sie im Winter vor dem Frost in tiefere Bodenschichten wanderten. Die im Zuge des Klimawandels zunehmend trockeneren Sommer sowie Extremwetterlagen belasten den Wald zusätzlich.
Daher fordert der BUND: Es muss etwas geschehen, um die Auflösung von 30.000 Hektar Wald zu stoppen und endlich eine Waldsanierung einzuleiten.
Der Runde Tisch empfiehlt Lösungen
Der BUND begrüßte daher den Schritt der Hessischen Landesregierung zur Einrichtung des Runden Tisches „Verbesserung der Grundwassersituation im Hessischen Ried“.
Unter Beteiligung aller Betroffenen (Wasserversorger, Forst, Landwirte, Hauseigentümer, Umweltverbände) wurden zahlreiche Optionen diskutiert und gelangte im April 2015 zu einer gemeinsamen Empfehlung:
- Waldumbau ist geeignet und sollte umgehend begonnen werden, in FFH-und Vogelschutzgebieten strikt am Naturschutz orientiert.
- In Teilbereichen kommt eine Anhebung des Grundwassers hinzu, beginnend mit dem Jägersburger/Gernsheimer Wald. Weitere Bereiche können folgen.
- Eine Waldbewässerung könnte lokal und zeitlich begrenzt zu einer schnellstmöglichen Zustandsverbesserung beitragen.
BUND-Klagen gegen Wasserbescheide
Im August 2013 wurde der Wasserbescheid für das Wasserwerk Jägersburg erteilt. Der Bescheid erlaubt die Grundwasserentnahme bis 2043, ohne daraus folgende Schäden für den Wald und Schutzgebiete angemessen zu berücksichtigen. Die Entnahmemenge wurde außerdem um 15% auf 21,5 Mio. m3/a erhöht. Gegen diesen Bescheid hat der BUND Hessen im September 2013 Klage eingereicht.
Der BUND hat keinen Stopp der Wasserförderung beantragt, denn die Trinkwasserversorgung soll jederzeit funktionsfähig bleiben. Ziel des BUND ist, die rechtlich vorgeschriebene Erhaltung und Wiederherstellung der Wald-Naturschutzgebiete durchzusetzen.
Während der Arbeit des Runden Tischs hat der BUND die Klage ruhend gestellt; der Abschlussbericht des Runden Tischs wurde im April 2015 veröffentlicht. Doch die Hessische Landesregierung ignorierte die Empfehlungen des Runden Tischs zur Grundwassererhöhung, und so nahm der BUND die Klage im Herbst 2015 wieder auf.
Obwohl weiterhin ein Schutzkonzept für den Riedwald bestand, erteilte das Regierungspräsidium Darmstadt 2018 einen weiteren Wasserbescheid für das Wasserwerk Allmendfeld über einen Zeitraum von 30 Jahren. Auch hier wurden die Schadenswirkungen auf ökologisch wertvolle Wald- und Schutzgebiete ignoriert. Daher hat der BUND erneut Klage eingereicht, um den Schutz für den Riedwald aufrecht zu erhalten.
Verwaltungsgericht bestätigt die Rechtsauffassung des BUND
Im August 2019 hat der BUND seine Klage in erster Instanz gewonnen. Das Verwaltungsgericht Darmstadt hat die Rechtsauffassung des BUND bestätigt, dass das Land verpflichtet sei, den Grundwasserstand soweit anzuheben, dass die europarechtlich geschützten Stieleichen-Hainbuchen- und Buchenwaldflächen in einen günstigen Erhaltungszustand zurückkehren können.
Die Landesregierung ignoriert diesen deutlichen Rüffel des Gerichts bis heute und bestreitet weiterhin seine Rechtspflicht zur Rettung der geschützten Waldbestände und Arten. Dabei ist die Rechtslage unstrittig, denn der Jägersburger-Gernsheimer Wald ist nach den beiden europäischen Naturschutzrichtlinien als Vogelschutz- und als sogenanntes FFH-Gebiet ausgewiesen. Für solche Gebiete ist die Verpflichtung der zuständigen Behörden zur Wiederherstellung günstiger Erhaltungszustände für geschädigte Lebensräume ausdrücklich vorgeschrieben (vgl. Artikel 2 der EU-Richtlinie „zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume und Arten“, der sogenannten Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie). Die Haltung von Umweltministerin Hinz in dieser Frage ist für den BUND daher weder nachvollziehbar noch akzeptabel.
Das Klageverfahren geht weiter. Alle Parteien, nämlich der BUND, das Land Hessen und die beigeladenen Wasserversorger haben Widerspruch eingelegt. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel hat für das Frühjahr 2024 einen Verhandlungstermin angesetzt.