Protestforschung

Ein Element des zivilen Ungehorsams ist die Störung. Daher ist in der zeitgenössischen Berichterstattung oft Negatives zu lesen, was diese Methode angeht, auf einen großen gesellschaftlichen Missstand (hier: das fahrlässige Zulassen der Klimakatastrophe zulasten ärmerer Menschen und der zukünftigen Generation) aufmerksam zu machen. Wir schauen uns daher an, was es aus dem wissenschaftlichen Umfeld zu berichten gibt, aus welchen Gründen es für Menschen dennoch Sinn machen kann, sich für und mit dieser Methode zu engagieren: Forschung zu störendem Protest.

Im BUND:

• "Letzte Generation: Ziviler Ungehorsam als Stoppsignal - Wir brauchen nicht die Kriminalisierung von Aktivisten, sondern schnelle Maßnahmen gegen den Klimawandel", 2022, Olaf Bandt, Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)
• Vernetzung: BUND Naturschutz Bamberg: "Pressebericht zur Veranstaltung "Wie radikal muss Klimaschutz sein?", Mai 2023
• "Die Radikalen sind nicht die Protestierenden. Es sind jene, die den Verpflichtungen zum Klimaschutz nicht nachkommen.", Gemeinsame Erklärung der Umweltverbände BUND, Campact, DNR, Germanwatch, Greenpeace, Nabu und WWF, November 2022

Hintergründe und geschichtliche Erfolge, die mit zivilem Ungehorsam erreicht wurden (Wikipedia).

Wissenschaftler:innen überlegen, ob es angesichts der dramatischen Lage an der Zeit ist, selber in den zivilen Ungehorsam zu gehen:

• "Civil disobedience by scientists helps press for urgent climate action", nature.com, 2022
  _{"Ziviler Ungehorsam von Wissenschaftlern hilft, dringende Klimaschutzmaßnahmen zu fordern"}
  
  - "Time is short to secure a liveable and sustainable future; yet, inaction from governments, industry and civil society is setting the course for 3.2 °C of warming, with all the cascading and catastrophic consequences that this implies. In this context, when does civil disobedience by scientists become justified?"
    _{"Die Zeit ist knapp, um eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft zu sichern; dennoch stellt die Untätigkeit der Regierungen, Industrie und Zivilgesellschaft die Weichen für eine Erwärmung um 3,2 °C, mit all den verschachtelten und katastrophalen Folgen, die dies mit sich bringt. Wann wird in diesem Zusammenhang ziviler Ungehorsam von Wissenschaftlern gerechtfertigt werden?"}
  
  - "The scientific community is well aware of the grim trajectory on which the Earth is headed^1,2; many of those working on climate change experience anxiety, grief or other types of distress as a result."
    _{"Die wissenschaftliche Gemeinschaft ist sich der düsteren Entwicklung, auf die die Erde zusteuert, sehr wohl bewusst; viele derjenigen, die sich mit dem Klimawandel beschäftigen, empfinden deshalb Angst, Trauer oder andere Arten von Leid."}
   
• "Scientists must act on our own warnings to humanity", nature.com, 2019
  _{"[Wir] Wissenschaftler müssen auf unsere eigenen Warnungen an die Menschheit reagieren"}
  
  - "We face interconnected planetary emergencies threatening our climate and ecosystems. Charlie J. Gardner and Claire F. R. Wordley argue that scientists should join civil disobedience movements to fight these unprecedented crises."
   _{"Wir stehen vor miteinander verknüpften planetarischen Notfällen, die unser Klima und Ökosysteme bedrohen. Charlie J. Gardner und Claire F. R. Wordley argumentieren, dass Wissenschaftler sich der Bewegung des zivilen Ungehorsams anschließen sollten, um gegen diese beispiellosen Krisen zu bekämpfen."}

• "Dieser Thread ist für all jene die meinen: Klimabewegung ja, aber doch nicht so... der lästige Protest in Museen, auf Straßen, inmitten der Gesellschaft schadet der Sache usw. Ich habe da tolle Evidenz für Euch, damit ihr das anders sehen könnt! 1/ ", Dezember 2022, Reinhard Steurer, assoziierter Professor für Klimapolitik an der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien
  - "ziviler Widerstand dort am meisten wirkt, wo er unangenehm ist: mitten in jener Gesellschaft, die moralisch auf einem Irrweg ist. Und ja: wir sind moralisch längst auf einem Irrweg."
  - "A Perfect Moral Storm: The Ethical Tragedy of Climate Change", von Stephen M. Gardiner, 2011, ..., "This tyranny of the contemporary is a deeper problem than the traditional tragedy of the commons", ..., "Part of the solution, it argues, is better public ethics"
   _{"Ein perfekter moralischer Sturm: Die ethische Tragödie des Klimawandels", von Stephen M. Gardiner, 2011, ..., "Diese Tyrannei der Gegenwart ist ein tieferes Problem als die traditionelle Tragik der Allmende", ..., "Ein Teil der Lösung, wird argumentiert, ist eine bessere öffentliche Ethik"}

Wir sammeln Erkenntnisse aus Politik- und Sozialwissenschaft zu störenden Protesten:

• Uni Hamburg, Juli 2023
  - "Aktuell wird gern der Eindruck erweckt, dass solche Klimaproteste dem Klimaschutz schaden würden. Das lässt sich aber weder aus Umfragen direkt ablesen noch gibt es aktuell eine empirische Evidenz, die das belegen würde.", Dr. Jan Wilkens vom Exzellenzcluster CLICCS an der Universität Hamburg
• "Klimaaktivismus und Klimaschutz: Schadet die Letzte Generation wirklich dem Klimaschutz?", zeit.de, Juni 2023
  - "Wer sich auf die Straße klebt, erweise damit der Umwelt am Ende einen Bärendienst – das ist die Kritikformel, auf die sich Konservative bis Grüne in den vergangenen Monaten einigen konnten. [...] Aber stimmt das wirklich?"
  - Antwort: Dafür gibt es keine Belege.
  - "Die Menschen können sehr wohl noch trennen zwischen (Protest-)Form und Inhalt."
• "Radical flanks of social movements can increase support for moderate factions", Oxford University Press, Juli 2022
  _{Radikale Flanken sozialer Bewegungen können die Unterstützung für gemäßigte Fraktionen erhöhen}
• "Radical tactics are likely to help the climate movement, not hurt it", wagingnonviolence.org, Dezember 2022
  _{Radikale Taktiken werden der Klimabewegung wahrscheinlich helfen, nicht schaden.}
• The Guardian, Juli 2023: Störende Proteste helfen dem Erreichen des Anliegens (wenn ein hohes öffentliches Bewusstsein und Unterstützung vorhanden ist) eher, als dass sie es behindern.
  - Eine Mehrheit der untersuchten Studien zeigt, dass störende Protest-Taktiken "zumindest recht wichtig" für den Erfolg einer Bewegung sind.
  - "This points out how our intuitions can be flawed when it comes to understanding social change, and how we shouldn’t take people’s first reactions as the indicator of an effective protest."
  _{Dies zeigt, wie fehlerhaft unsere Intuitionen sein können, wenn es darum geht, sozialen Wandel zu verstehen, und wie wir die ersten Reaktionen der Menschen nicht als Indikator für einen wirksamen Protest ansehen sollten.}

Bill Moyer’s Movement Action Plan

8 Phasen: "eight stages through which social movements normally progress over a period of years and decades": https://commonslibrary.org/resource-bill-moyers-movement-action-plan/

4 Rollen im sozialen Aktivismus (Bürger, Rebell, Change Agent und Reformer): "There are four different roles activists and social movements need to play in order to successfully create social change: the citizen, rebel, change agent, and reformer.", "Each role has different purposes, styles, skills, and needs and can be played effectively or ineffectively.": https://commonslibrary.org/the-four-roles-of-social-activism/